Überraschende Ergebnisse der 2. Netzbeiratssitzung
Am 30. Juni 2016 fand in der Behörde für Umwelt und Energie (BUE) die 2. Sitzung des neu eingerichteten Hamburger Energienetzbeirat statt, in dem als ständige und beratende Einrichtung 20 Vertreter der Umweltverbände, der Wirtschaft, der Wissenschaft und der in der Bürgerschaft vertretenen Fraktionen über drängende Themen der Hamburger Energiepolitik beraten. Die Bedeutung dieses Gremiums ergibt sich aus zwei Punkten:
Erstens wird damit der im Jahr 2014 begonnene Hamburger Wärmedialog in eine dauerhafte und formal von Bürgerschatft und Senat legitimierte Institution überführt, um insbesondere Gegner und Befürworter des Energienetz-Volksentscheids vom 22.9.2013 an einen Tisch zu bringen und gemeinsam an besseren und vor allem konsensfähigen Lösungen für die Hamburger Energiepolitik zu arbeiten.
Zweitens ist es der (zaghafte) Versuch, die Forderung des Volksentscheids nach mehr demokratischer Kontrolle des Hamburger Energiesystems mit Leben zu füllen.
An diesen Zielsetzungen muss sich dann auch die praktische Arbeit des Beirats und die anschließende allererste energiepolitische Bürgerfragestunde seit dem Verkauf von HEW und HeinGas messen lasen. Die formale Grundlage ist die Geschäftsordnung, die heute noch ausgiebig diskutiert und interpretiert wurde. Leider zu kleinteilig. Der Beirat kann sich ja jederzeit selbst neue Regeln oder Interpretationen geben. Ok. Eine Lernkurve ist völlig normal.
Dadurch wurde leider die Bürgerfragestunde zu einer eher unattraktiven Veranstaltung. Jede Gemeindeausschussitzung in Schleswig-Holstein läuft da offener und interessanter ab… Die wichtigste Frage blieb dadurch auch unbeantwortet: „Ist es nicht jetzt an der Zeit, die Klageverfahren um den Standort einvernehmlich zu beenden, nachdem nun offensichtlich der Standort Wedel endgültig aufgegeben wurde?“ Die Antwort wird nachgereicht und veröffentlicht werden.
Wichtig ist, dass wir nun knapp 3 Jahre nach dem Volksentscheid in Energiefragen überhaupt so etwas wie formal organisierte Transparenz, öffentliche Diskussion auf Augenhöhe und einen öffentlichen Dialog mit Bürgern über Energiefragen haben. Das ist ohne Frage auch ein Verdienst der BUE, die diese beiden neuen Formate (Beirat und Fragestunde) sehr konstruktiv und mit viel gutem Willen befördert. Was für ein Kulturunterschied zur vorherigen SPD-Umweltsenatorin Jutta Blankau! Dazwischen liegen Welten. Ein Verdienst der neuen Grünen Behördenleitung und der engagierten BUE-Mitarbeiter. Möglich wurde dies durch die Grüne Regierungsbeteiligung in Hamburg seit Frühjahr 2015. Einfach ein neuer Politikstil: Bürger auf Augenhöhe.
Zur Erinnerung: Im Wahlkampf Ende 2010 wurde noch auf SPD-Plakaten für 100% Rekommunalisierung geworben. Nachdem die 25,1%-Kooperationsverträge des alleinregierenden SPD-Senats mit Vattenfall und e.on dann im Nov. 2011 der staunenden Öffentlichkeit und auch der genauso überraschten eigenen Parteibasis vorgestellt wurden, gelang es immerhin noch im April 2012 einen „Energiebeirat“ in der Bürgerschaft im Zuge der Zustimmung zu den Kooperationsverträgen als eine Art kleine Kompensationsmassnahme zu beschliessen, die jedoch nie zum Leben erweckt wurde. Die Gründe dafür sind unklar. So ein richtiges Interesse, mit den Umweltverbänden und anderen Stakeholdern auf Augenhöhe zu diskutieren, hatte jedoch niemand im damaligen SPD-Senat und der SPD-Regierungsfraktion. Das ändert sich nun.
Nach dem 2. Netzbeiratstreffen sind folgende energiepolitischen Ergebnisse besonders hervorzuheben:
- Der Standort Wedel spielt in ALLEN Betrachtungs- und Untersuchungsszenarien der BUE und damit des Senats der Stadt Hamburg keine Rolle mehr. Die handfesten betriebswirtschaftlichen Vorteile des Standortes Stellinger Moor sind einfach zu überzeugend. Die NGOs haben darauf bereits im Jan. 2015 mit einem eigenen Gutachten zum Standortvergleich hingewiesen und auch die Netzinfrastrukturkosten sowie die monetären Vorteile für Hamburg beziffert.
- Sämtliche Gutachten, darunter auch die Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen, des Jahres 2016 sollen den Netzbeiratsmitgliedern vollständig unter Einbeziehung der Zielsetzung bzw Aufgabenstellung zur Verfügung gestellt werden. Im Falle der Ertüchtigungsmaßnahmen mit der Einschränkung, daß Zahlen zu Betriebsgeheimnissen nicht veröffentlicht werden. Jedoch wird die vollständige Liste der Maßnahmen und die Aufgabenstellung des Gutachtens gemeinsam mit einer Zusammenfassung aller wichtigen Erkenntnisse veröffentlicht werden. Dies wäre ein großer Fortschritt auch im Sinne der Transparenz und demokratischer Kontrolle.
- Das Thema Einsatzreihenfolge insbesondere für die drei 50 MW-Heizkessel in Haferweg ist nun auch in den Szenarien der BUE angekommen: Am 30.6.2016 wurde im Netzbeirat von der BUE bekannt gegeben, daß zunächst einer der drei 50 MW-Kessel zukünftig nicht mehr als Besicherung, sondern in die Teil- oder Spitzenlast im Hamburger Westen überführt werden wird (nach Eigentumsübergang an die Stadt Hamburg in 2019). Das fordern die NGOs seit Nov. 2014, erstmalig in den „Leitsätzen für eine neue Fernwärmeversorgung“. Zuletzt wurden dazu Anfang 2016 die betriebswirtschaftlichen Abschätzungen von den NGOs vorgelegt.
- Der Anteil der erneuerbaren Energieträger im VWH-Fernwärmenetz soll substantiell erhöht werden. Es wurden von der BUE heute Szenarien zwischen 22% und 35% – Anteil vorgestellt von der BUE. Der Unterschied besteht in der Einbeziehung industrieller Abwärme der Kupferhütte AURUBIS. Dabei ist die sehr günstige Umrüstung (2 Mio EUR) der 3. Linie der Müllverbrennung Borsigstrasse noch nicht enthalten, die allein schon den EE-Anteil um weitere 10% erhöhen würde. Warum das nicht schon längst realisiert worden ist, ist ein weiteres grosses Rätsel der Hamburger Energiepolitik. Erst der jüngste Vorschlag eines Vattenfall-Wettbewerbers hat das Thema in die Diskussion eingebracht.
Fazit: Die Ideen , der Sachverstand und das Engagement aller Energiewende-Willigen in Hamburg und die öffentliche und transparente Diskussion darüber wird weiterhin mehr denn je gebraucht. Hätten wir uns, wie 2011 von Olaf Scholz verordnet, allein auf Vattenfall als Kooperationspartner für die Hamburger Energiewende verlassen, würden wir jetzt noch große fossile Kraftwerke bauen anstatt zum Vorreiter der urbanen Wärmewende zu werden. Diese Vorstellung lässt mich gruseln…